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Extensive Wiesen und Weiden: letzte Lebensräume für bedrohte Vogelarten

In den letzten Jahrzehnten ist die Zahl der Vogelarten, die an extensive Wiesen und Weiden gebunden sind, deutlich zurückgegangen. Einige von ihnen sind gar ganz verschwunden. 2020 haben Fachleute von Eurac Research in Zusammenarbeit mit dem Amt für Natur in einem Spezialprojekt das Vorkommen der Bodenbrüter erforscht. Die Ergebnisse liegen nun vor.

Die Landwirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr stark verändert. Um mehr Futter für die Kühe produzieren zu können, werden Wiesen früher und häufiger gemäht und auch stärker gedüngt. Diese intensivere Nutzung der Wiesen hat schwerwiegende Folgen für die Artenvielfalt, ganz besonders für die Vogelwelt, die diese Lebensräume bewohnt.

„Besonders betroffen von der Veränderung sind Vogelarten, die in Bodennähe nisten“, erklärt der Ornithologe Matteo Anderle von Eurac Research. Da das Gras immer früher gemäht wird, werden häufig am Boden nistende Vögel gestört und Eier oder Jungvögel können gar der Mahd zum Opfer fallen. Infolgedessen gehören diese Arten zu den am stärksten bedrohten Vögeln der Region und sind rückläufig. So sind der Wachtelkönig und die Feldlerche, die früher häufig und weit verbreitet waren, nur noch sporadisch anzutreffen und andere, wie der Ortolan, sind aus Südtirol praktisch verschwunden.

Nicht nur bodenbrütende Arten, sondern auch Arten, die an Strukturelemente der Landschaft gebunden sind, wie z. B. einzelne Bäume zwischen Feldern oder Hecken, die die Grenzen verschiedener Wiesen und Weiden markieren, Trockenmauern oder Baumreihen, sind gefährdet. Diese für unser Gebiet typischen Einzelstrukturen werden immer seltener und damit auch die Arten, die sie zum Nisten nutzen. Ein Beispiel stellt die Sperbergrasmücke dar: sie besiedelt offenes Gelände mit extensiven Wiesen und Weiden, wo sie in einzelnstehenden Sträuchern und Feldgehölzen brütet. Doch aufgrund der Beseitigung von solchen Elementen im ganzen Land ist sie heute sehr selten.

Extensive Wiese bei St. Lorenzen (C) Eurac Research/Simon Stifter

Ziel des Spezialprojekts

Das Biodiversitätsmonitoring Südtirol, Langzeitprojekt von Eurac Research, hat zum Ziel, die Artenvielfalt der wichtigsten Lebensräume unseres Landes zu untersuchen. Im Rahmen dieses Projekts werden jedes Jahr bestimmte Themen in Form von Spezialprojekten behandelt. Das Projekt über Brutvögel in offenen und halboffenen Gebieten wurde in Zusammenarbeit mit dem Amt für Natur der Autonomen Provinz Bozen (Abteilung Natur, Landschaft und Raumentwicklung) durchgeführt. Die Hauptziele sind die Untersuchung der Verteilung und Größe der Populationen von Vogelarten im Freiland, die Schaffung der Grundlagen für ein langfristiges Monitoring dieser Arten und die Festlegung geeigneter Managementmaßnahmen, um die langfristige Erhaltung und das Überleben dieser bedrohten Arten zu sichern. Die ersten Ergebnisse liegen bereits vor.

Wie wurden die Erhebungen durchgeführt?

Zunächst wurden die Monitoring-Gebiete auf der Grundlage einer Analyse früherer Daten über die Verbreitung der Zielarten des Projekts definiert und festgelegt. Innerhalb eines jeden Gebiets wurde alle 10 ha ein Monitoring-Punkt untersucht. Für das Feldmonitoring besuchten die Ornithologen insgesamt 31 Untersuchungsgebiete, welche gleichmäßig über die Provinz verstreut liegen. Ein weiterer Projektschwerpunkt, finanziert durch Umweltfonds, wurde im Bereich Bruneck durchgeführt. Die Gebiete wurden zweimal in den frühen Morgenstunden zwischen April und Juli besucht, denn dieser Zeitraum fällt mit der Nistzeit dieser Arten zusammen. Am Standort angekommen, zählte und notierte das Forscherteam alle gesehenen und gehörten Arten. Zudem wurden Tonbandaufnahmen von Gesängen abgespielt, um einigen seltenen Vogelarten einen Laut zu entlocken und sie so nachzuweisen, sofern anwesend. Andere Arten, die hauptsächlich nachts oder in der Dämmerung aktiv sind, wie Ziegenmelker oder Wachtelkönig, wurden in den Abendstunden erhoben.

Was sind die Ergebnisse der Studie?

Die Erhebungen ergaben ein detailliertes Bild der Südtiroler Grünland-Arten. Die ersten allgemeinen Tendenzen bestätigen einen bereits bekannten Trend: Insgesamt ist die Verbreitung von Vogelarten auf extensiven Wiesen und Weiden stark rückläufig. Arten wie Braunkehlchen und Wachtelkönig sind selten, während andere, vor allem Sperbergrasmücke oder Ortolan, fast vollständig verschwunden sind. Auch Ziegenmelker und Wachtel sind nur sporadisch zu finden. Neuntöter, Feldlerche und Goldammer hingegen sind zwar noch vorhanden, aber in vielen Fällen nur noch sporadisch oder mit lokal begrenzten Populationen.

„Die durchgeführten Erhebungen bestätigten die Bedeutung der extensiven Wiesen und Weiden und ihrer naturnahen Randbereiche als Lebensraum für die untersuchten Arten“, erklärt Giulia Ligazzolo vom Amt für Natur. „Alle diese Vögel sind auf extensiv bewirtschaftete Lebensräume und die darin enthaltenen linearen und punktuellen Elemente wie Sträucher, Hecken oder Baumreihen angewiesen“, fügt sie hinzu. Obwohl solche Landschaften in einigen Teilen der Provinz noch vorhanden sind, besteht die Gefahr, dass sie aufgrund der fortschreitenden landwirtschaftlichen Intensivierung und der Bewirtschaftungsaufgabe schwer zugänglicher und zu bewirtschaftender Gebiete vollständig verschwinden. Die wenigen verbliebenen Lebensräume, die von einigen Landwirten noch auf traditionelle Weise bewirtschaftet werden, sind daher von enormer Bedeutung für den Schutz der Natur und insbesondere der Arten, die so spezifisch an diese einzigartigen Gegebenheiten gebunden sind. Insgesamt hat das Sonderprojekt die Bedeutung der von der Provinz geförderten Landschaftspflegeprämien gefestigt, um die in den Wiesen lebende Flora und Fauna zu schützen und so den Erhalt dieser wertvollen Landschaften zu ermöglichen. Um die Gefahr für Wiesenbrüter und Co zu bannen ist allerdings noch ein großer Einsatz notwendig.

Extensive Wiesen und Weiden: „Hotspots“ der Artenvielfalt

Extensive Wiesen und Weiden sind nicht nur für bestimmte Vogelarten von zentraler Bedeutung, sondern auch wahre Zentren der Artenvielfalt. Das erste Jahr des Biodiversitätsmonitorings bestätigte die Bedeutung dieser Lebensräume: Magerwiesen, d.h. extensiv genutzte Wiesen, gehören zu den artenreichsten Lebensräumen Südtirols. Auf einer Wiese in der Nähe von Tiers konnten die Expertinnen und Experten auf nur 100 Metern bis zu 80 Pflanzenarten bestimmen. Im Vergleich liegt der Durchschnitt bei Magerwiesen bei fast 60 Arten und damit deutlich höher als in den intensiv bewirtschafteten Wiesen mit etwas über 35 Pflanzenarten. Auf den extensiven Wiesen gibt es durchschnittlich 15 Schmetterlingsarten, darunter auch seltene Arten wie den Schlüsselblumen-Würfelfalter und den Thymian-Ameisenbläuling. Als besonders wertvoll für die Biodiversität Südtirols haben sich auch die Weiden erwiesen, wie etwa die ausgedehnten Trockenrasen auf dem Vinschger Sonnenberg. In einer Trockenweide bei Goldrain wurde zum Beispiel die Sperbergrasmücke gefunden.

Trockenweide am Vinschger Sonnenberg (Goldrain) (C) Eurac Research/Simon Stifter

Zukunftsperspektiven

Um die Grünlandarten Südtirols zu erhalten, ist es wichtig, die extensive Wiesen- und Weidenbewirtschaftung beizubehalten und, wo möglich oder notwendig, wiederherzustellen und zu fördern. Dies kann nur in Zusammenarbeit zwischen Naturschutz, Forschung, einzelnen Landwirten und landwirtschaftlichen Verbänden geschehen, damit nicht nur eine ökologisch, sondern auch eine ökonomisch nachhaltige Landwirtschaft möglich ist. Darüber hinaus dienen die durch dieses Spezialprojekt gewonnenen wissenschaftlichen Daten als Grundlage für den Aufbau eines zielgerichteten und standardisierten Monitorings, das über einen längeren Zeitraum Bestand hat. Ein weiteres Sonderprojekt zum Thema Wiesenvögel ist für 2021 im Rahmen von Citizen Science geplant, d.h. ein Projekt, bei dem die Bevölkerung direkt zur wissenschaftlichen Untersuchung beiträgt. In diesem Projekt werden Gebiete untersucht, die bisher kaum erforscht wurden. Das Südtiroler Biodiversitätsmonitoring wird sich auch in Zukunft dem Schutz dieser sehr speziellen und faszinierenden Vogelarten widmen und versuchen, die wissenschaftlichen Grundlagen für den Schutz dieser einzigartigen und für die Südtiroler Land- und Naturlandschaft so wichtigen Lebensräume zu erhalten.

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